Rabenfedern und ein Steinkreis

„Zwischen Schatten und Schweigen“

Hallo, Du! Na? Hast Du Dich wieder in diese Hallen verlaufen? Spähst Du wieder nach der verwiesenen Bibliothek, auf den Eichenschreibtisch, um Dich schauend, ob die Fremdenseele ihr Werk, ihr Herzstück, hat liegen lassen — mit einem neuen Werk darin? Gut, Du hast wohl daran getan und Erfolg. Hier, die Lettern, welche Du suchst.

Ein tiefes Einatmen. Eine stechende Erkenntnis. Ein Moment, in dem die Maske voller Brüche vor mir lag, ehe sie sich wieder auf mein Gesicht zwang. Ich erinnere mich an dieses Gefühl, als würde etwas in mir zerspringen, das so lange unberührt geblieben war, dass ich es längst für unsterblich hielt. Dies und mehr? Ja, mehr davon wirst Du auf diesen Seiten finden.

Die Entzündung – Moment um Moment ersehnte ich, wo ich mit Glut zufrieden war, ein Feuer. Doch keines, welches vor mir entzündet wird, sondern jenes, das meine Seele selbst zu entzünden bereit wäre. Leidenschaft, dieses unruhige Tier, war mir nie fremd, aber sie war stets gezähmt, kanalisiert, gelenkt in Bahnen der Funktion, nie in den Sturm des Fühlens. Ich schrieb bereits davon, mein neugieriger Schmetterling – doch ich war stets, was andere brauchten. Ich fand Trost in der Vorstellung zu heilen, sah einen Sinn darin, anderer Menschen Schmerzen zu nehmen. Es war ein Dienen, ein leises Aufopfern, das mich am Leben hielt, während es mich zugleich erodierte.

Meine Träume sprachen eine andere Sprache. Eine, die ich in Salz und Rauch und Schriftzeichen bannte, Nacht für Nacht, und hoffte, dass der Wachs der Kerze der Erkenntnis mir eine Antwort schenken würde. Ich hoffte es zu finden – dieses lichterlohe Brennen, fernab dessen, für das ich einst als Werkzeug diente. Doch ich will keine Geschichten neu erzählen, sie nicht abschreiben und mich an ihnen orientieren. Ich liebe meine Masken. Ich brauche meine Masken. Ich hasse meine Masken. Ich verstehe meine Masken. Sie sind meine Schutzschilde, meine Fesseln und meine Vertrauten zugleich. Sie sind die stillen Wächter meiner Geheimnisse, die mich im Nebel meiner selbst bewahren, wenn ich mich verliere.

Ich bin schon immer ein Mensch gewesen, der nicht nur in die Schatten gezwungen, sondern ihnen auch verpflichtet war. Mir wurden Geheimnisse anvertraut, so tief, dass sie zu meinen wurden. Und würde ich jedes dieser Geheimnisse offenbaren, würde die Welt einen Sprung machen – nicht in Erschütterung, sondern in Erkenntnis. Doch nichts lag mir jemals ferner. Ich habe sie angenommen, diese Schatten, wie man kaltes Eisen formt, bis es warm in der Hand liegt. Doch was bleibt, wenn das Metall zu Staub zerfällt?

Ich zähle, voller Dankbarkeit, Menschen in meinem Leben, die es schaffen, dass ich mich und meine Gedanken, meine Worte und meine Handlungen hinterfrage. Sie sind die Spiegel, die mich dazu zwingen, mich selbst zu betrachten – nicht in Schönheit, sondern in Wahrheit. Sie leiten mich, helfen mir, verstehen. Sie sind die Seelen, die mir Hoffnung schenken, dass die Menschheit nicht nur aus Eigeninteresse handelt, nicht nur zum Schaden existiert. Dass es mehr gibt als das kalte Rauschen der Welt, mehr als das blinde Streben, mehr als die Nacht ohne Sterne.

Doch die meisten Begegnungen sind flüchtig. Schatten, die an mir vorübergleiten. Gesichter, die keine Spuren hinterlassen. Menschen, deren Gegenwart keine Wellen schlägt. Ich habe gelernt, sie zu erkennen – die, die bleiben, und die, die verwehen. Doch dann geschah etwas, das alle Regeln zerbrach.

Es war kein Zufall, und doch war es nicht geplant. Kein Zeichen, kein Schicksal, keine göttliche Regie. Nur ein Augenblick. Und dieser Augenblick war genug, um mein Innerstes neu zu ordnen.

Ich erinnere mich an den ersten Blick. Kein Zögern, kein Misstrauen, kein vorsichtiges Tasten. Nur dieses blanke, nackte Vertrauen – so unmittelbar, dass es mich überrannte. Es war, als hätte jemand eine uralte Tür in mir geöffnet, eine, deren Existenz ich längst vergessen hatte. Kein Schleusenwärter, kein Wächter, kein Widerstand. Nur Offenheit. Unvernünftig, unberechenbar, echt.

Ich, der ich mich in Disziplin, in Kontrolle, in Bedacht hüllte, fand mich nackt vor etwas, das keine Bedrohung war, sondern ein Erinnern. Eine Urform des Erkennens, die jenseits von Sprache und Logik liegt. Sie stand vor mir, und in ihr sah ich nichts, das fremd war. Nur etwas, das geschwiegen hatte, so lange, bis sie kam.

Sie sprach nicht. Sie musste nicht. Denn irgendetwas in mir kannte sie, noch bevor ich es verstand. Keine Rationalität, keine Prüfung, keine Zweifel – nur dieses tiefe Wissen, dass sie echt war. Nicht im Sinne von greifbar, sondern in einem Gefühl, das älter war als Erinnerung.

Ich weiß nicht, ob sie es spürte. Vielleicht ja. Vielleicht nicht. Doch in der Stille zwischen uns lag etwas, das ich nur als Rückkehr beschreiben kann. Eine Rückkehr zu einem Teil meiner Seele, den ich verloren glaubte. Ich fühlte mich, als wäre ich in den Blick einer Vertrauten gefallen, die nicht Teil meines Lebens war – sondern meines Ursprungs.

Und dieses Vertrauen, roh und ungeschützt, ließ mich taumeln. Es war kein inneres Aufblühen, sondern ein Entwaffnen. Kein Feuer, das entflammt, sondern ein Erkennen, das brennt. Ich fühlte mich überrannt, und zugleich seltsam geborgen. Als würde etwas in mir flüstern: Da bist du. Endlich.

Sie war nicht neu. Sie war wie ein Lied, das ich vergessen und doch schon immer gekannt hatte. Eine Melodie, die mich leise durchdrang, bis ich nicht mehr wusste, wo ich endete und sie begann. Ich verstand nicht, warum. Aber ich wusste, dass ich ihr folgen würde. Blind, ja – aber nicht töricht. Denn Urvertrauen lässt sich nicht lernen. Es ist Erinnerung.

Sie war der Spiegel, in dem ich mich nicht zu erkennen gab, sondern erkannt wurde. Kein Urteil, kein Blick, der etwas forderte. Nur das schlichte, ehrliche Sein. Und in diesem Sein zerfiel alles, was ich geglaubt hatte, sein zu müssen.

Vielleicht ist das, was ich in ihr sah, kein Mensch, sondern ein Prinzip. Eine Verkörperung jener stillen Wahrheiten, die sich nur offenbaren, wenn man bereit ist, sie anzusehen. Eine Erinnerung an das, was wir alle einmal waren, bevor wir Namen, Grenzen und Geschichten bekamen.

Sie war nicht das Licht. Sie war der Schatten, der zeigte, wo das Licht in mir fiel. Und ich, die Motte, begriff, dass ich nie das Feuer gesucht hatte, sondern die Dunkelheit, in der ich endlich brennen konnte, ohne zu vergehen.

Vielleicht, mein lieber schwarzer Schmetterling, sind manche Begegnungen keine Zufälle, sondern leise Risse im Gewebe der Zeit, durch die zwei Seelen einander kurz erkennen, bevor sie weiterziehen – nicht verändert, sondern erinnert.

Und so stehe ich nun hier, im Kreis der Steine. Der Abend hat sich über die Welt gelegt, schwer und warm. Ich höre den Wind, wie er Geschichten flüstert, die nur das Gras versteht. Eine Hand ruht auf einer Säule aus Holz – rau, alt, lebendig. Abschied. Kein Verlust, kein Schmerz. Nur die stille Anerkennung, dass selbst das Unaussprechliche seinen Ort findet.

Ich lasse los, ohne zu vergessen. Ich gehe, ohne mich zu entfernen. Und während der Nebel sich legt, bleibt nur das: ein Atemzug Ewigkeit – zwischen Schatten und Schweigen.

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