Lichter aus – Zwischen den Masken
Lichter aus. Das Flimmern verstummt. Die Schatten nehmen wieder ihren Platz ein, als hätten sie nur gewartet, bis ich aufhöre, mich zu bewegen. Ich sitze da – zwischen angehaltenem Atem und zu lauter Stille – und frage mich, ob es da draußen jemanden gibt, der mich wirklich sieht. Nicht das Lächeln, das ich trage, nicht die Stimme, die ich erfinde, nicht die Maske, die ich jeden Morgen festzurre, damit niemand merkt, dass mein Gesicht längst müde ist.
Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt noch existiere – oder nur eine Rolle spiele, die irgendwann jemand geschrieben hat, und ich sie einfach nie abgelegt habe.
Ich bin die Summe meiner Anpassungen. Das Echo der Erwartungen anderer.
Ein Schatten, der gelernt hat, sich selbst zu beleuchten, damit niemand merkt, dass das Feuer erloschen ist.
Ich stelle mir vor, ich bin ein Gebäude. Alt. Rissig. Voller Geschichten, die nie jemand zu Ende erzählt hat. In meinen Gängen hallen Schritte wider, die nicht mehr da sind.
Menschen kommen und gehen. Sie treten durch Türen, die längst schwer geworden sind, und gehen weiter, als wären sie nie hier gewesen. Ich merke mir ihre Stimmen, ihre Gerüche, den Abdruck ihrer Hände an meinen Wänden. Doch ich bleibe zurück – als Hülle. Als Ort, an dem sie sich kurz sicher fühlten, bevor sie merkten, dass die Wärme hier nicht echt ist, sondern nur das Nachglühen vergangener Lichter.
Ich war nie derjenige, der blieb. Ich war immer der Ort, an dem man zwischenlandet.
Ein Durchgang, kein Ziel. Eine Erinnerung, die man nicht mehr ganz greifen kann, wenn man sie braucht.
Und wenn die letzten Schritte verklungen sind, streife ich durch meine eigenen Flure,
mit einem leeren Blick, der schon zu lange nach innen gerichtet ist. Manchmal bleibe ich vor einer Tür stehen. Sie ist verschlossen. Ich weiß, was dahinter liegt. Und trotzdem halte ich den Atem an, als könnte sich das ändern, wenn ich nur lange genug warte. Hinter dieser Tür ist alles, was ich nicht zeigen kann.
Alles, was mich einmal weich gemacht hat, bevor das Leben mich hart geschliffen hat. Die Gesichter, denen ich nie sagen konnte, was sie mir bedeutet haben. Die Worte, die ich geschluckt habe, bis sie bitter wurden. Und die Version von mir, die geglaubt hat, dass Liebe etwas Dauerhaftes ist. Ich traue mich nicht, sie zu öffnen.
Denn was, wenn dort nichts mehr ist? Was, wenn ich nur noch den leeren Raum finde, in dem einst mein Herz gewohnt hat? Also bleibe ich davor stehen, mit der Hand am Griff,
und der Angst, dass hinter der nächsten Tür kein Monster lauert – sondern ich selbst.
Ich habe viele Masken.Eine für den Tag. Eine für die Menschen, die fragen, wie es mir geht. Eine für jene, die ich liebe, aber nicht verlieren will. Und eine, die ich sogar im Spiegel trage. Die ehrlichste davon ist die, die ich niemandem zeige – die, unter der mein Gesicht nur aus Rissen besteht, die, unter der ich weder lächle noch weine,
sondern einfach nur bin.
Ich habe gelernt, mich in Fragmenten zu zeigen. Nie ganz, nie vollständig. Ich bin das Flackern einer Lampe, nicht die Glühbirne selbst. Ich bin die Erinnerung an ein Gespräch, das nie geführt wurde. Ich bin das leise Rascheln einer Seele, die Angst hat, dass Stille ihr letzter Klang sein könnte.
Und doch – irgendwo zwischen all den Masken, zwischen all den Türen, die ich nicht öffne, zwischen den Nächten, in denen ich vergesse, wer ich war – liegt ein Funke.
Ich spüre ihn manchmal. Wenn der Regen gegen die Scheiben prasselt. Wenn ich ein Lächeln sehe, das mich an etwas erinnert, das ich fast vergessen hatte: dass ich noch lebe.
Vielleicht bin ich flüchtig. Vielleicht bin ich nichts weiter als eine Spur im Nebel, ein unvollständiger Gedanke im Kopf eines anderen. Aber selbst das ist etwas. Selbst das ist Existenz. Ich bin nicht hier, um gefunden zu werden. Ich bin hier, um zu erinnern, dass selbst ein verlassener Ort noch Licht speichern kann. Dass selbst ein müder Körper noch Wärme abgeben kann. Dass selbst ein Mensch, der glaubt, nichts mehr zu geben zu haben, noch einen letzten Funken in sich trägt, der das Dunkel spaltet.
Vielleicht muss man sich verlieren, um zu begreifen, dass Masken nicht nur Schutz sind,
sondern auch eine Form des Überlebens. Vielleicht ist meine Flucht nicht Feigheit,
sondern der leise Versuch, zu bleiben – auf eine Art, die niemand versteht, aber die dennoch echt ist.
Lichter aus. Ich sitze da, zwischen dem, was war, und dem, was nicht kommt.
Meine Masken liegen um mich herum, wie alte Freunde, die nicht wissen, wann sie gehen sollen. Und inmitten dieser Stille, in der das eigene Herz wie ein Fremder klingt,
hebt sich ein Gedanke, zart, beinahe scheu:
Was, wenn all das hier nicht das Ende ist?
Was, wenn die Dunkelheit nur der Moment ist, in dem das Auge sich an das Licht erinnert?
Ich glaube, ich bleibe noch ein wenig hier. Nicht, um zu warten. Nicht, um zu hoffen. Sondern, um mich zu erinnern, dass selbst in der völligen Dunkelheit ein Atemzug genügt, um das Leben zurückzuholen.
Lichter aus. Ein Flackern bleibt. Und diesmal sehe ich, dass es aus mir kommt.