Geschichten aus den Schatten…
An dieser Stelle möchte ich eine Kurzgeschichte teilen. Ich habe sie 2011 geschrieben. Keine Ahnung, was mich zu dieser Zeit bewegt hat, ich kenne nur das „wer“. Doch um diese leeren Pixel zu füllen, kein schlechter Ansatz etwas altem wieder einen neuen Glanz zu verschaffen, auch wenn es lyrisch gewiss ausbaufähig ist. Doch eben dies, die Entwicklung des Denkens… Warum nicht? Zeigen, woher man kommt um aufzuzeigen, wohin man will… Viel Vergnügen:
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Stelna & Ludius
Jede Geschichte beginnt meist mit der Liebe – einem Gesang, in dem zwei Herzen beschließen, einen Weg gemeinsam zu gehen. Doch egal, welche Gefahren oder Herausforderungen auf diesem Pfad lauern: Nicht jedes Herz ist stark genug.
Dies ist die Geschichte zweier Menschen. Sie fanden einander, doch sie fanden nicht zueinander. Im Schein der Nacht gaben sie sich den Schwur der Treue, der Liebe und des Vertrauens. Doch für jede gute Seite einer Geschichte herrscht eine finstere Gegenmacht …
Dies ist die Geschichte von Stelna und Ludius.
Ludius’ und Stelnas Weg kreuzten sich in der Stätte der Zusammenkunft – einem Ort, an dem keine Liebe, keine Freude und keine Hoffnung entstehen konnten, wenn man nicht von Natur aus dafür bereit war.
Beide befanden sich im gleichen Lebenszyklus, doch bis hierher hatten sie verschiedene Wege beschritten. Ludius verbrachte bereits eine lange Zeit in dieser Stätte. Er erinnerte sich kaum noch daran, wie alles seinen Anfang genommen hatte, doch er konnte sich gut an all das erinnern, was er erlebt hatte. Er kannte jede Kammer, kannte ihre Gäste und wusste um seinen Einfluss auf eben jene. Man kannte ihn, nicht zuletzt, weil er bereits drei Jahre dort verbracht hatte.
Stelna, ein Stern, der seit Anfang des zwölften Jahres im zweiten Äon dort verweilte, war ihm kurz nach ihrer Ankunft begegnet. Zu jener Zeit war es seine Aufgabe gewesen, die Gesichter der Gäste auf Papier zu bringen, damit man sich an sie erinnerte. Tausend Gäste hausten in den sieben Kammern der Stätte, und man musste wissen, wer wo seinen Platz hatte.
Stelna gehörte zu diesen Gästen.
Sie sah Ludius dort stehen, wie er die Gesichter der Menschen einfing. Ihre Gedanken kreisten wild und unsicher, was sie von ihm halten sollte. Sie warf der Frau, mit der sie dort zusammentreffen sollte, einen fragenden Blick zu. Was sie genau dachte, liegt heute im Schatten der Erinnerung begraben.
Ludius hingegen konnte nicht anders, als sie in Erinnerung zu behalten. Sie schien anders.
Doch er verschwendete keine weiteren Gedanken daran, denn die Zeit war knapp und er hatte noch viel zu tun.
Ein ganzer Monat verging, bis er seine Aufgabe zur Zufriedenheit seiner Lehrmeister beendet hatte. Ludius war Lehrling in dieser Stätte. Seine Unterweisung sollte nicht mehr lange dauern, und immer wieder führte ihn sein Weg in jene Kammer, in der er Stelna wiedersah.
Er sprach nicht mit ihr. Nur einmal begegnete er ihr im Lastenaufzug, zusammen mit einer seiner Lehrmeisterinnen. Sie lachten, scherzten – und Stelna schien dieses Geschehen wahrzunehmen. Doch weitere Begegnungen blieben aus.
Mitte jenes Jahres war seine Lehre beendet. Er wurde jener Kammer zugeteilt, in der auch Stelna ihren Platz hatte. Zwei Wochen lang wurde er erneut wie ein Lehrling behandelt, bis die anderen Gäste ihm das nötige Wissen vermittelt hatten, um seinen Dienst anzutreten.
Er arbeitete im gleichen Zirkel wie Stelna. Doch bevor beide sich näherkommen sollten, verging noch einige Zeit. In Pausen verbrachten sie die ein oder andere Verschnaufminute zusammen. Ludius entdeckte so viel mehr in ihr, was sein Interesse und seine Leidenschaft weckte. Doch er hatte jemanden – und sie ebenfalls.
Was also tun?
Er entschied sich, dieses Gefühl zu ergründen. Sie sprachen über ihre Gefährten an der Seite und gestanden sich, dass diese nicht das waren, was sie sich vom Leben versprachen. Am Anfang der Woche lud er sie ein, sich mit ihm außerhalb der Stätte zu treffen. Sie war überrascht, willigte aber ein. Doch es sollte keine Woche dauern, bis er sich dem Gedanken ergab, sie an seiner Seite haben zu wollen.
Sie entwickelten eine Zuneigung, der sie nicht widerstehen konnten. So geschah es, dass sie sich in der Nacht trafen – mit dem Mond als einzigem Zeugen. In Gespräche vertieft erkannten sie so viel mehr als das Offensichtliche. Diese Nacht endete mit einem gestohlenen Kuss, den es wiederzuholen galt.
Am nächsten Tag löste Ludius das Band zu seiner Gefährtin. Es war leicht, denn man hatte ihm diese Entscheidung bereits abgenommen – nicht wegen des Kusses im Mondschein, sondern wegen jener Krankheit, die man Wahnsinn nannte.
Stelna und Ludius arbeiteten bis tief in die Nacht, doch danach führte sie ihr Weg in eine andere Stätte, erfüllt von Klängen, die beide genossen. Die Gäste um sie herum jedoch wurden mit jedem Tag misstrauischer. Sie wussten, dass Stelna und Ludius an Gefährten gebunden waren, und dieses vertraute Umfeld sorgte für Aufsehen. Doch die beiden ließen sich nicht beirren.
Ludius war frei. Stelna jedoch konnte sich nicht lösen – zu viel stand auf dem Spiel. Dies hatte sie auch in der Nacht des Kusses betont. Doch ein Kuss wie dieser konnte nicht ohne Bedeutung sein.
Die Abendruhe verwandelte sich in Vergnügen, das sie beide beseelte. Die Stätte der Zusammenkunft ließen sie hinter sich und tauchten ein in die Ströme der Musik. Sie tranken, sie lachten. Die Kombination jener Getränke blieb ebenso unvergesslich wie der Abend selbst. Und der Kuss, den er ihr zuvor gestohlen hatte, wurde erwidert.
Sie gaben sich ihren Emotionen hin, dem Verlangen, das sie verband. Sie verbrachten die Nacht und den nächsten Tag zusammen, sonnten sich in ihrem Glück und dachten nicht an den Schatten, der sich an Stelnas Schicksalsfaden heftete.
Stelna wurde zu Ludius’ Stella Magnis, seinem tanzenden Stern, den er fortan an seinem Horizont sehen wollte. Und Stelna erkannte, dass Ludius nicht der Spieler war, für den sie ihn gehalten hatte.
Doch Ludius war ein Spieler. Er wusste, worauf er sich einließ. Alles hatte er versucht vorherzusehen – nur nicht, dass er diese Frau so schnell lieben würde. Stelna wiederum wurde unsicher. Sie wollte den Schatten vertreiben, der sie verfolgte, doch erkannte, wie schwer das sein würde. Auch sie verliebte sich in ihn. Heimlich verbrachten sie jede erdenkliche Minute zusammen, während in den Schatten ringsum ihr Glück erblühte. Doch mit der Zeit drängten die Schatten immer näher.
Ludius wurde zunehmend eifersüchtig. Er stellte Stelna vor die Wahl. Sie bat ihn immer wieder um Geduld, um Verständnis. Doch das Problem an der Liebe ist, dass man sie nicht teilen kann – und Ludius wollte das um keinen Preis.
In seinem grenzenlosen Eifer gegen Stelnas Schatten zu kämpfen, nahm er die Welt nicht mehr klar wahr. Die Schatten in ihm selbst übersah er ebenso wie die Anstrengungen Stelnas.
Jede Geschichte birgt eine Hexe, und jedes Ende einen Anfang. Ludius beging einen Fehler – er war nicht wachsam genug. Gerade in jener Stunde, in der Stelna ihn gebraucht hätte, war er nicht an ihrer Seite. Er übersah die Zeichen, und dieser Fehler veränderte alles.
Doch noch hielten sie an ihrem Vertrauen fest. Sie erkannten, dass jeder Schatten nur erscheinen konnte, wenn es ein Licht gab, das ihn warf – und sie wollten sich dieses Licht gegenseitig sein. So die Theorie. Stelna trennte in jener Nacht das Band zu ihrem Peiniger, doch der Schatten blieb.
Keine Hilfe brachte die ersehnte Änderung. Stelna war an eine Aufgabe gebunden, die sie für den Ruf ihres Vaters erfüllen musste.
Ludius wurde von seinen Gedanken zerfressen. Warum hatte der Schatten noch immer Macht über sie? Er fühlte sich sogar von Stelna betrogen. Sein Stolz hinderte ihn daran, ihr Glauben zu schenken.
Oft ließ er es sich nicht anmerken, doch es nagte an ihm. Jede Kleinigkeit brachte sein Blut zum Kochen. Und jedes Mal, wenn er verletzt von seinen eigenen Gedanken war, stieß er Stelna fort, bevor er wieder zur Besinnung kam. Sie versuchte alles, um sein Vertrauen zu gewinnen. Doch die Diskussionen über Vertrauen, Wahrnehmung und die Grundsätze der Liebe häuften sich.
Schließlich kam Ludius zu dem Entschluss, dass Stelna nicht länger an seiner Seite wandern sollte. Er trennte das Band, das ihnen so viel Kraft gegeben hatte – aus Angst, verletzt zu werden.
Er glaubte, nun zu wissen, dass er in ihrer Welt keinen Platz hatte. Doch in seiner Wut erkannte er nicht, wie schwer Stelnas eigener Kampf war. Sie hatte sich allen widersetzt – ihrer Familie, ihren Freunden, der ganzen Welt – nur wegen ihm, dem Spieler.
Ludius jedoch erachtete es als selbstverständlich. Das war sein größter Fehler.
Doch am Ende kam die Erkenntnis.
Er hatte jeden Fehler begangen, den man in der Liebe begehen konnte. Doch er liebte Stelna mehr als alles andere.
Und so fand der Stern, den er ersehnte, wieder zu seinem Leuchten und vertrieb für einen Moment die Schatten.
Ob Stelna und Ludius’ Wege sich wieder vereinen würden?
Man muss den Sternen folgen und abwarten, wohin der Weg führt.
†~ Ende ~†
Moral:
Fehler geschehen. Eifersucht und Leid sind real. Doch wer lernt, die Schatten zur rechten Zeit zu bekämpfen, kann das Licht bewahren.