Eine alte Wahrheit & Masken

TRIGGERWARNUNG: Kindheit, Kindesverlust

Während die ersten Versuche, diesen Beitrag zu schreiben eigentlich um Wahrheiten, meine Maske und meine dazugehörigen Annahmen und Vermutungen gehen sollte, schafft es ein Lied wieder mich vollkommen in die Vergangenheit zu zerren und leidliche Gedanken zu erfassen.

Ich war immer ein Mensch, damals zumindest, wobei ich den Zeitraum und das Ende nicht eingrenzen könnte, der für alles auf höchster Flamme gebrannt hat. Ich war, nachdem ich den Kokon meiner Introvertiertheit abgelegt habe (wenngleich unfreiwillig und mehr als Resultat von 21 Jahren Verdrängung) der Überzeugung, dass das Leben zu kurz sei, als dass ich es immer nur auf Sparflamme leben könnte. Ich brannte. Entflammte für die Leidenschaft, den Exzess, das Nachtleben und lebte meine Emotionen frei aus. Ich lebte jedes noch so kleine Gefühl, gab mich jedem Impuls emotionaler Verbundenheit hin und zerrte von dem, was den Moment ausmachte. Ich lebte ihn einfach… Ich dachte nicht zu viel darüber nach, was der Morgen bringen könnte oder was andere von mir dachten. Ihre Meinung war mir scheißegal – Gut, das ist sie noch heute, wenngleich ich gelernt habe, einen etwas emphatischeren Weg zu finden.

„Ich atme tief hinein in meinen Laib aus Asche“ – Keine Passage würde mehr ausdrücken, wie ich mich dieser Tage fühle. Doch, bevor ich mich diesen Gedanken ohne Bezug hingebe… Fangen wir doch wie in jeder Geschichte mit etwas Kontext an.

Mein Leben war selten gut zu mir. Die leisesten Erinnerungen klopfen an die Scheiben meiner Erinnerung und eröffnen, wie Tinte, die man ins Wasser tropfen lässt Bilder, die ich gerne vergessen würde, die aber bis heute da sind. Zerwürfnisse, Betrug, Zorn, Wut, Eifersucht, blinde Rage und Übergriffigkeiten… Sie waren die Begleiter meiner frühsten Stunden, in der eine Seele sich entfalten sollte. Kameraden, die niemals auch nur den Hauch von Freude und Wonne bereithielten, mir aber immer so normal vorkamen, wie lachende Kinder es heute auf einem Spielplatz tun.

Schon als Kind vermittelte man mir Werte, die kein heranwachsendes Wesen kennenlernen sollte. Ein vierjähriger der Dankbarkeit ausdrücken möchte, ein falsches Wort verwendet und Drohungen erfährt. Ein Kind, das als Freund Ersatz für den Vater durch die Nacht geschleift wird, weil die Mutter wieder ihren primitiven Bedürfnissen nachging, mit einem Menschen, der mir Wegweiser sein sollte, … So vieles mehr, zu viel, als das ich es alles niederschreiben wollen würde. Nein, nun will ich nicht meine zerrüttete Kindheit auf den Tisch werfen, aber ich habe viel von dem, was ich heute und dazwischen war, diesen Momenten zu verdanken.

Meine erste Maske? Ich setze sie früh auf. Machte, was man mir sagte, damit alle zufrieden sind und ich keinen Ärger zu fürchten hatte. Doch ich sehe meine erste „Maske“ vielleicht eher als Grundierung, als sanfte Schicht, die sich auf die haut, legte, vorbereitend auf allen Schutz, den ich mir selbst zuteilwerden lassen müsste. Gerne stellte ich mir vor, dass als dies nur die Vorbereitungen auf einen Kokon waren. Ein Kokon, der Anfang meiner 20er gebrochen ist. Nicht, weil meine Metamorphose abgeschlossen war, sondern weil der Druck zu hoch war.

Ich weiß noch, dass ich in meiner Zeit auf der Orientierungsstufe angefangen habe Gedichte und Geschichten zu schreiben. Der Gedanke etwas zu erschaffen, dass meinem Bild, meinem Willen und einer gewissen Harmonie folgte, hat damals schon angefangen mich zu befrieden. Es waren Momente, die mir gehörten. Welten, die ich selbst erschaffe, habe und in der ich mir erlauben durfte zu lachen. Ich war sehr früh erwachsen. Ich musste es sein. Immerhin wurde ich schon mit 5 / 6 Jahren im Familienbetrieb eingesetzt. Mit 11 wurde mein Status als erwachsener gefestigt. Ich durfte Alkohol trinken, erlaubt, von meinem Vater. Immerhin habe ich ihn damals auch verkauft. Die Erinnerungen daran sind grade recht lebhaft, da ich mich an den Stand erinnere. Frankenhainer Blue und Desperados waren damals „Kultgetränke“ und mein Vater fand den Ausschank ausreichend lukrativ. Mit 13 durfte ich rauchen… Mit 14 hatte ich meinen ersten Vollrausch…

… alles war okay. Sicherlich, der Tadel in der Öffentlichkeit war da. Doch schien man es zu dulden, dass das Kind, das konsumiert, was es nächtlich an der Tankstelle für die Eltern zu holen aufgefordert wurde. Damals ging das noch mit einer schriftlichen Erlaubnis. Handschriftlich auf kariertem Papier und dem Ausweis der Eltern dabei. Ich habe es nie gerne gemacht, weil jedes Mal, wenn ich mit den ein oder zwei Flaschen Weißwein nach Hause kam (Oppenheimer Krötenbrunnen… Ich erinnere mich sogar an die Flasche…) wusste ich, dass es keine zwei Stunden dauerte, bis die Streitereien wieder anfingen. Sicherlich nicht verwunderlich, dass das Jugendamt irgendwann einschritt… Aber, dies ist eine ganz und gar andere Geschichte, die mit Trennung, Verwahrlosungen und einen leeren Pool auf einem Campingplatz zu tun hat. Mir fällt grade auf, dass ich das alles gar nicht so schreiben wollte. Ich werde es aber auch nicht löschen.

Doch, irgendwie habe ich diese Zeit dann doch ausgehalten… Irgendwie. In meinem innersten brannte keine Flamme, kein loderndes Feuer… Es war immer mehr ein „Sparbetrieb“, der es mir erlaubt hat, nicht gänzlich zu erkalten.

… bis irgendwann ein kleines Wunder in mein Leben kam. Ein kleines Wesen, gezeugt aus fehlender Vorsicht, aber mit einer Präsenz, die mich hat aus meinem eisernen Gefängnis hat ausbrechen lassen. Meine damalige Freundin, die ich mit 14 kennengelernt habe… Ja, wir waren eine Zeit zusammen, bis wir wohl beide, nach drei Jahren nach einer Geburtstagsfeier unvorsichtig waren. Ich weiß, dass dies eine Zeit voller Unsicherheiten war.

Es war März 2006. Dieser Monat war kalt, verschneit und wunderschön. Ich erinnere mich an die Form jedes Baumes, den ich zwischen den 29 Kilometern zwischen meinem Wohnort und dem Ort des Krankenhauses Stand. Ich erinnere mich an jeden Kratzer des roten Piaggio Rollers, den ich zu dieser Zeit unerlaubt gefahren bin, um die Distanz zurückzulegen. Ich erinnere mich an den Duft, den Arzt, die Hebamme und der Krankenschwestern. Und ich erinnere mich daran, dass die Ketten meiner gesamten Welt gesprengt wurden, als ich dieses kleine Wesen in den Armen hielt, welches nun Teil meines Lebens war. Ein Leben, für dessen Erscheinen ich Verantwortung trug, wie ich auch Verantwortung für jede weitere Sekunde ihres Seins tragen würde…

… Ich war ein anderer Mensch. Kümmerte mich um meine Zukunft, um diesem Geschöpf etwas bieten zu können und brannte fürs Leben. Ich hatte eine Aufgabe, eine Bestimmung und ein Ziel – Diesem kleinen Wesen, zu dem ich sofort die tiefste aller Bindungen verspürte, ein Leben zu bieten, fernab dieses Umfeldes, in das sie geboren wurde. Sie sollte eine glückliche, beständige Kindheit haben, mit allem, was dazugehörte. Pfützen, Regen, Schmutz, Lachen, rebellischen Phasen.

Die nächsten 8 Monate waren die glücklichsten meines Lebens. Jede Anstrengung und jede Entzerrung, die ich erfahren habe waren vergessen, als dieses kleine, plusterbäckige Wesen in seinem Strampler dort lag und lachte…

… Doch Glück ist eine käufliche Hure, dessen Existenz eine flüchtige Erscheinung ist. Im November, mitten in der Nacht… Dem Tag, als ich in den Keller zog, weil meine Freundin sich von mir trennte, weil sie jemanden aus Bayern kennenlernte, verließ mich dieses Glück. Jede Sekunde, die ich mich daran erinnern kann, dem Versuch gewidmet diesen Abschied in einen temporären Schrecken zu verwandeln, misslang… Und selbst diese kleine Flamme, die irgendwann mal da war, erstreckte sich verweht als kalte Asche durch mein Sein. Diese Erinnerungen wecken immer noch viel in mir… Viel von dem, was nun schon 19 Jahre her ist.

Ich durfte damals nicht trauern. Meine damalige Freundin und meine Mutter, von meinem Vater betreut im Flur… Ich, der zu lange versuchte etwas zu unternehmen… Sich allen Geräuschen und Eindrücken des Momentes allein stellen musste, fernab der Zeugenschaft der anderen Beteiligten… Es schien damals so, als wenn alle mehr litten als ich. Mir wurde auch suggeriert, dass ich das nun „aushalten müsste“. Meine Mutter, die mit dem Ableben meines Kindes, fernab das Geschehene und dieser Geräusche einer misslingenden Beatmung auf der Treppe saß und mir erzählte, dass ich mich gar nicht vorstellen könne, wie schwer es ist seine Enkelin zu verlieren. Ich glaube, meine Menschlichkeit habe ich wenig später verloren. Ich fand den Gedanken befriedlich, dass ich sie weiterwachsen sehen könnte und sie nicht allein sein müsste. Wir haben uns damals für einen Sternschnuppenbaum im Friedwald entschieden. Ein kleiner Setzling, an dessen Fuß sie begraben werden würde, neben in Zukunft anderen, so das Schicksal es entschied.

Und ich stand da, inmitten von „Fremden“. Jeder kümmerte sich nur um sich. Niemand dachte auch nur eine Sekunde an mich. Das war okay… Damals… Ich ging diesen letzten Gang, mit der Urne in der Hand, allein. Niemand, der seine Hand auf meine Schulter legte… Niemand, der mir Trost spendete… Niemand. Nur ich, diese Fremden, ein Geistlicher an dessen Leitbilder ich nicht glaubte und diese Tränen hinter mir. Ich verbot es mir zu weinen… Ich verbot mir schwach zu sein… Denn, ich müsste es ja nun ertragen, so wurde es mir gesagt.

An diesem Tag verschloss ich mich der Welt, für sehr lange Zeit. Diese Asche wehte nur durch mein Bewusstsein, fernab jeden Lebensfunkens.

Die nächsten Jahre waren… Herausfordern. Ich glaube ehrlichgesagt nicht, dass die Menschen viel Freude an meiner Gesellschaft empfanden. Ungefähr vier Jahre später brach all das, was ich verschlossen und betoniert hatte zusammen. Ich habe keine Ahnung, was dort der ausschlaggebende Punkt war, doch aus Asche, wurde ein Inferno wechselmütiger Launen. Ich habe Masken aufgetragen, so dünn und fein, dass sie irgendwann doch ein derartiges Massiv wurden, dass ich mich selbst als so gegeben identifizierte.

Ich kann nicht sagen, ob ich heute nur eine emotional maskierte Gestalt bin, die versucht das Leben zu leben, was sie leben könnte oder ob ich nur den Wunsch nach einem längst erloschenen Feuer hege, bei dem ich jedoch Angst habe, dass ich es nicht erkennen würde. Vielleicht sind all diese Vergangenen Dinge ein hellgekacheltes Konstrukt einer Natur, die nach all dem so in mir erwachsen musste. Doch diese leisen Regentropfen… Diese Stille der Nacht, welche durch eine Motte zur blauen Stunde mit leicht hörbarem Flügelschlag belebt wird.

An dieser Stelle könnte ich sogar an den Beitrag anknüpfen, den ich eigentlich schreiben wollte. Wahrheiten. Meine Wahrheiten. Doch die Wahrheit, nach dem du das hier jetzt gelesen hast ist, dass ich keine Wahrheit habe. Nur eine Hülle, die ich beschützen muss, weil dieses aufglimmen der Glut mir zu wichtig ist. Ich habe in meinem Leben gelernt, dass jeder sich selbst am nächsten ist. Fragen nach dem „Wie geht’s Dir“ nur eine leere Fassade von Menschen sind, die sich der Beantwortung einer solchen Frage zwar bemächtigt, aber für die Wahrheit nicht bereit sind.

Ich wäre gerne offener, weniger maskiert und Menschen näher – Doch all diese biologischen Mechanismen haben sich so lange in mein Fleisch und meine Seele gebrannt, dass kaum eine zwischenmenschliche Beziehung so nah geht, dass ich bereit bin alle Masken fallen zu lassen. Selbst, wenn ich eine emotionale Bindung zu einem Menschen aufbaue, erscheint es mir, dass ich nicht im Stande bin alle Wahrheiten preiszugeben. Dies, was ich hier schreibe, ist an dem Motto „an der Oberfläche Kratzen“ kaum zu überbieten… Doch es ist schon der tiefste Einblick, den ich gewähren kann, so man mich denn fragen würde. Doch die Beantwortung dieser Frage… ich bin ihrer Müde. „Mir geht’s super“ oder „Ganz okay“ werden immer die Karten meines Blattes sein, welches ich zu präsentieren bereit bin. Und bisher habe ich nur zwei Menschen in meinem Leben getroffen, die mir an den Augen ablesen können, wie es mir geht… Doch keiner dieser Menschen kennt diese Wahrheiten, die verborgen unter einem Trümmerhaufen aus Vergangenheit liegen… Diese „Level“ unter der Maske, sind Wahrheiten, die ich zwar offenbaren möchte, doch bin ich der Ängste Müde, die sich mit dem Entfernen eines jeden Siegels zeigen würde – Gelernt habe ich am Ende nur eines… Ab einem jeden Punkt werde ich wieder dort stehen, inmitten von Fremden und Lächeln, als wäre die Welt mein Spielplatz und der Prometheus funke mein Geschenk, dass ich nie hergeben würde…

… Auch wenn die Wahrheit hinter all den Fassaden lautet, dass ich nur darauf warte, dass jemand nicht mein Herz „entzündet“, sondern meine Seele.

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