Hunger
Ich denke, es ist gut, dass Sie hergekommen sind
Denn, auch wenn es gefährlich ist
Gewisse Wege zu gehen
Bestimmte Richtungen einzuschlagen
So gibt es doch
Sind diese Pfade erst einmal betreten
Keine Möglichkeit zu einer Umkehr | ASP – Willkommen zurück
Mittlerweile begleitet mich eine mir nur allzu bekannte Müdigkeit, wenn ich über das Thema „Wege“ nachdenke. Nichts wird fälschlicher interpretiert als diese wohligen Phrasen und Bekundungen aus zweiter Hand, gesprochen mit der hundertsten Zunge. Daher liegt mir nichts ferner als ein Fass zu öffnen, dessen Inhalt staubiger sein mag, als die Bibliothek von Alexandria.

Vielmehr treibt mich dieser uns alle umschließende Hunger an. Hunger nach allem, was unsere Gelüste, Begierden und Wünsche anspricht. Dieser eine Hunger, der ins in den Augen der Gesellschaft atypisch werden lässt. Jedoch, um ein Symphonie, ein Meisterwerk zu verfassen, sollten wir erstmal schauen, welche Instrumente uns in unserem Orchester zur Verfügung stehen. Machen wir also eine kleine, wenngleich anfänglich anmutend ermüdende, Bestandsaufnahme.
Hunger… Wenn wir nicht grade an eine unserer Leibspeisen denken, wenn uns der Magen knurrend an seine Existenz erinnert, so verbinden wir „HUNGER“, in einen anderen Kontext gestellt, oft mit einer gewissen Leidenschaft. Der Klarheit halber: Ich spreche nicht von einer Passion, vielmehr von einem körperlichen Verlangen. Sicherlich konntest du dir das schon denken, jedoch soll es auch der letzte Verstand in den Reihen dieser Pixel verstehen. Insgesamt wird Hunger in der Philosophie nicht nur als körperliches Phänomen betrachtet, sondern als vielschichtige Erfahrung, die menschliche Existenz auf unterschiedlichen Ebenen prägt. Ethik, Politik, Metaphysik, Phämenologie und Existenzielles. Doch keine Sorge, viele dieser Themen (um nicht zu ungenau zu werden – fast alle) werden wir behandeln wie eine Selleriestange bei einem All you can eat Buffet.
Betrachten wir einen weiteren IST-Stand: Der Mensch, in seiner Gesellschaftlichen Entwicklung, hatte immer ein klares Ziel. Was damals, in den alten Tagen, schwer zu erreichen war und als Status-Symbol galt, ist heute nur noch eine Frage der Finanzierung. Werbeträger wie Influencer, ContentCreatoren, YouTube-Werbebanner tragen dazu bei, dass in uns der Bedarf nach etwas geweckt wird, was wir offensichtlich nicht brauchen, jedoch unbedingt haben wollen. Der Umstand der finanziellen Kaufkraft wird ausgehebelt, durch Giganten wie Klarna. Ratenkäufe, für jeden, zu jeder Zeit. Einkommen „FAST“ egal, solange man keine aktive Insolvenz hat. Wie sexy Konsum sein darf, wird durch ein scharfes JA bestimmt. Heutzutage gibt es nichts mehr, was wir uns nicht kaufen können. Selbst Sex ist nur ein breitgefächertes Konsumgut, welches für beinahe jeden Geldbeuten etwas bietet. Gewisse Etablissements bieten entweder eine Zahlpause oder Ratenzahlung an. Vor einem Stelldichein wird also erstmal ein Ratenvertrag unterschrieben. Erst blankziehen und später die Zeche schuldig sein. Grandios. Selbst Liebe wird als Zahlungsmittel für einsame Herzen akzeptiert. Bevor ich jetzt eine uns alle ohnehin nicht tangierende Abhandlung darüber verfassen, was alles möglich ist, belassen wir es einfach bei einem: du kannst alles haben, Geld brauchst du keins und im Zweifel regelt es die Privatinsolvenz.
Wir schreiten aber nun weiter. Konsumgesellschaft ist kein neuer Begriff. Viele von euch werden ihr selber anheimgefallen sein. Keine Sorge, auch ich war den Großteils meines Lebens so. Das neuste haben, alles besitzen. Kann man es sich nicht leisten? Kein Thema, wir finanzieren einfach. Keine Bange, dieses Tage sind vorbei.
Für mich steht nun jedoch etwas anderes im Vordergrund, wodurch wir nun aus der Einleitung in den eigentlichen Beitrag Wechsels. Was macht das mit uns?
Den Begriff Wegwerfgesellschaft wirst du kennen. Wir kaufen neu, statt zu reparieren. Wir ersetzen Menschen, statt uns mit ihnen zu befassen. Wir nehmen neue, digitale Identitäten an, ohne an uns zu arbeiten. Im Geiste unseres Hungers nach mehr, dem Bedürfnis in allem Vorreiter zu sein und im Gedanken an all die Gegenstände von Wert die wir unser eigenen nennen können haben wir ein Tor geöffnet, dass wir nicht mehr schließen können. Zumindest nicht ohne weiteres und emsigen Anstrengungen. Im Tiefenrausch unseres eigenen Höhenflugs identifizieren wir uns an der Außendarstellung, an Likes, an Kommentaren und Komplimenten. Die weiße Weste wird immer wieder ersetzt und Kritik wird an der Quelle blockiert. In der Vergangenheit habe ich immer wieder den Satz „Was sollen die Nachbarn denken“ vernommen. In wie weit dieser nun in den Kontext passt, bleibt abzuwarten. Doch dieses eben angesprochene Tor, lass uns darüber einmal sprechen.
Stell dir eine alte Burg vor. Du wirst sie in Filmen, Sachbüchern, in der Schule oder auf Bildern bereits gesehen haben. Eine steinerne Festung, hochragende Mauern und ein tiefer Graben um diese Festung herum. Stell dir vor, die Zugbrücke sei unten. Du schreitest über knarzende, massive Bretter, durch einen Torbogen. Kurz überkommt dich vielleicht sogar die Angst, dass dieses Fallgitter herabfallen und dich beinahe treffen könnte. Mit einem Grinsen der Selbsterkenntnis, wohl dem Wissen, wie unwahrscheinlich dieser Gedanke ist, gehst du weiter. Kurz blickst du dich auf dem Hof um, lässt deinen Blick über Hecken, Tränken für Tiere und matschige Pfade wandern. Es mag sein, dass diese Burg dir in deinen Gedanken, deiner Fantasie prunkvoller vorgekommen sein mag. Doch, dies ist was du grade hast. Dort, weiter den matschigen Pfad entlang trifft dein Blick auf ein massives Tor. Hölzern, mit Eisenbeschlag, groß. Deiner Neugier nachgehend gehst du weiter und ignorierst, so gut es geht den nun immer strengeren und beißenden Geruch der Deine Nase flutet.

Dem Versuch erlegen nur noch durch den Mund zu atmen, stehst du nun vor dem Burgtor. Massiv genug, dass uneingeladene Eindringlinge keine Chance haben einzutreten, erkennst du jedoch jeden bereits unternommenen Versuch. Kratzer, Schrammen, kleine Brandflächen um Kerben herum und ein schwaches Flüstern, wie aus verbotenen Tiefen kratzt an deinem Hirn.
Du erkennst, dass es eine Versuchung ist. Nein, nicht eine. Ein Stimmenmeer aus Versuchungen. Am Rückgrat kriecht sie immer höher, nah an deinen Nacken. Während du ahnungslos, fasziniert, vor Angst benommen dort stehst, draußen in der Realität, lauert hinter diesem Tor etwas, was all die Dämonen (auch gesellschaftlicher Einfluss genannt) beherbergt, die dich verzerren und verkommen lassen wollen. Doch nun bringe einen weiteren Gedanken in diese Gleichung mit ein. Stell dir vor, du bist nicht die erwachsene Gestalt, die nun einen Blogbeitrag eines Fremden liest. Stell dir weiter vor, dass du mit derartigen Versuchungen nie auch nur den Hauch einer Berührung gehabt hast und stell dir einfach vor, dass die Unschuld des Lebens höchstselbst in dir wohnt. Ja, genau. Du bist ein Kind. Du hast weder die Absicht noch das Interesse daran, dass diese Dämonen einziehen zu lassen. Warum auch? Das Flüstern interessiert dich nicht. Du kannst mit derartigem nichts anfangen. Vielleicht macht sich ja sogar Erleichterung in dir bemerkbar. Das krabbeln an deinem Rückgrat flacht ab und die Stimmen verstummen im Bewusstsein des fehlendes Zwecks. Was könnte nun jedoch hier noch schiefgehen? Genau! Du, in deiner unschuldigen Form und kindlichen Gestalt wendest dich ab… Und Deine Elter reißen lachend, grinsend dieses Tor, bereits von diesen Dämonen verkommen, mit einem schallend irren Lachen dieses Tor auf. Du wirst, grade noch von einer befreienden Erkenntnis befreit in einer Flut von Reizen gefangen, derer du dich nun nicht mehr erwehren kannst.
Der Beginn ist also, wenngleich nicht immer, jedoch oft in unserer Kindheit. Damals, ja, in der „guten alten Zeit“ musste man sich erarbeiten, was man sein eigen nennen wollte. Werte wurden im Familienhaus vermittelt. Wie gut diese am Ende waren, will ich gar nicht zur Diskussion stellen. Jedoch wusste man, wenn man etwas besitzen will, muss man etwas dafür tun. Es war die Realität und genau so wahr, wie der Geruch auf dem Burghof, wie auch die Angst die man verspüren kann, wenn man unter einem Fallgitter hindurchschreitet.
Heute wächst man jedoch in dem Bewusstsein auf, dass Finanzierung alles ist. Das man alles haben kann. Dass jede Liebe nur so viel Wert trägt, wie das damit einhergehende Prestige oder den damit verbundenen Reibungspunkten. Wir lernen, dass wir immer mehr haben wollen, die neuste Technik, das beste Auto und überhaupt. Was damals ein Statussymbol war ist heute eine Möglichkeit eine innere Leere zu füllen, derer wir uns durch Therapien annehmen müssten. Konsumgüter haben den Befriedigungsgrad einer Tafel Schokolade gewonnen und der Markt floriert. Wir sind hungrig nach mehr und wir kennen kein Ende.
Ja, vielleicht muss ich an dieser Stelle einräumen, dass ich dieses Gefühl und den Versuch einer Kompensation durch Konsumgüter nur allzu gut kenne. Sicherlich kann ich mich davon nicht freisprechen und am Ende möchte ich dies auch garnicht. Ich kenne dieses aufgerissene Tor, zerfressene Gedanken und die Initiatoren, die einen in diese Welt herabstürzen lassen. Nur allzu gut kenne ich sie. Und, wenn ich an dieser Stelle erwähne, dass ich in meinem Leben bereits 120.000,00 Euro Schulden hatte, sei dazu erwähnt, dass ich meinen Eltern einen nicht unerheblichen Teil davon zu verdanken habe. Den Umgang mit Geld zu lernen oblag mir. Ich hatte keine Vorbilder und schon in meinem Elternhaus wurde mir dieses wundervolle Werkzeug an die Hand gegeben. Und ja, es kann sich toll anfühlen, wenn man sich immer den neusten unnützen Mist kauft. Mich hat es, wenngleich auch nur für kurze Zeit, immer wieder etwas erhabener fühlen lassen, in einer Zeit, in der ich mir vorgekommen bin, wie dieser Hof in der ausschweifenden Erzählung. Damals habe ich einen Hunger entwickelt, den nichts stillen konnte. Kein Gegenstand, keine Liebschaft, keine flüchtige Romanze und keine durchzechte Nacht. Jedes Erlebnis war nur ein Snack auf einem Marathon, den man über eine sehr lange Zeit läuft. Nichts vermochte mich befriedigen und so lebte ich in einem gewissen Exzess. Ich denke, dies sollte im Grund verdeutlichen, dass ich diesen Hunger durchaus kenne. Doch, heute bin ich endlich aus diesen Spiralen ausgebrochen. Gut, nicht an diesem Datum, sondern dieser Tage. Sicherlich habe ich noch Schulden (bei weitem nicht mehr so viel, wie sie mal waren – es ist nur noch ein Bruchteil), die werde ich auch noch für ca. drei Jahre haben, doch ich verspüre keinen Hunger mehr. Reize gehören zum Leben dazu und so ist meine einzige Schwäche, dieser Tage, ein schöner Moment in einem flüchtigen Augenblick. Ich habe einen Weg gefunden, mich an den Dingen zu erfreuen, die man sich nicht kaufen kann. Von Momenten zu zehren, die keinen monetären Wert haben.

Doch diese Gedanken, diese Gefühle, die werde ich nicht alleine erlebt haben. Vielleicht spürst du diese Gefühle ja auch? Vielleicht kann nichts deinen Hunger stillen? Dann wirst du die Auswirkungen dieses Verlangens mehr als nur am eigenen Leib erlebt haben. Deine Seele spürt ihn auch. Vielleicht war es auch nichts, was du wir kaufen konntest? Vielleicht war es der Rausch der Nacht, der deine Kurzzeitdroge gewesen ist.
Gründe, wenn und aber, ja – die gibt es ausreichend. Alle aufzuzählen? Sicherlich, jedoch sollte die Botschaft dieses Beitrags mittlerweile mehr als nur klar geworden sein. Neugier ist das eine. Alles verzehrender Hunger etwas vollkommen anderes… Uns muss nur bewusst sein, dass nichts was wir konsumieren etwas an dem ändert, was wir zu fühlen im Stande sind. Kein Geld der Welt wird uns die Begeisterung für ein Feld voller Sinnenblumen schenken können. Kein iPhone wir das Zittern der Knie, bei einem leidenschaftlichen Kuss ersetzen. Und keine Kurtisane wird die Einsamkeit nehmen, wie sie das Bewusstsein für das eigene Selbst es kann!
good evening…