[Lyrik] Die Ballade des Trägers des Rabenmantels

(In der Nacht, wenn Stille atmet)

Es war ein Mann, von Schatten trunken,
sein Blick, ein Mahlstrom stiller Pein,
der durch die Nächte, tief versunken,
den Sinn des Lebens suchte — allein.

Ein Mantel schwarz, aus Federn webend,
umhüllte ihn wie Grabgesang,
und jedes Rauschen, leis erhebend,
verhallte wie ein Seelenklang.

Er ging durch Felder, alt und blühend,
sah Kinder lachen, sah Mütter wein’n,
die Welt, so laut und doch verglühend,
war Spiegel seiner eignen Pein.

Die Sterne flackerten wie Wunden,
am Himmel schrie der Nebel still,
und er — gefesselt, kaum gebunden —
ging weiter, weil er weiter will.

Doch auf dem Pfad, wo Knochen flüstern,
wo Zeit im eignen Herz ertrank,
vernahm er Stimmen, sanft wie Nüstern
von Geistern, die ihm näher klang.

Sie sprachen:
„Du suchst den Sinn, doch Sinn ist Trug,
du suchst das Licht, doch Licht ist Lug.
Nur wer im Dunkel zu sich steht,
versteht, wohin der Wind dich weht.“

Da fiel er nieder, ganz erschüttert,
sein Mantel schien nun schwer wie Schuld,
und jede Feder, schwarz, erschüttert,
verriet den Preis der eig’nen Huld.

Da trat aus Nebel — still, verwegen —
ein Licht in Menschengestalt hervor.
Kein Engel, nein, kein Feind, kein Segen —
ein Spiegel nur, ein sanftes Tor.

Die Seele sprach mit leiser Stimme,
die klang, als hätt’ sie nie gehört,
wie viele Menschen in sich schwimme,
wie sehr man liebt — und wie man stört.

„Du trägst den Mantel, Kind des Schweigens,
du suchst das Ziel, doch bleibst im Kreis.
Denn jedes Streben ist ein Neigens,
zur Fessel, die du Freiheit heiß’.“

Er sah sie an — so unermessen,
so warm, so klar, so schmerzvertraut.
Ein Teil von ihm wollt’ sie vergessen,
ein Teil von ihm blieb ewig laut.

„Ich bin,“ sprach sie, „die, die du warst,
bevor du Masken trugst und Rollen.
Ich bin der Teil, den du vergaßt,
um dich vor dir selbst zu verschollen.“

Da weinte er — nicht laut, nicht leer,
doch still, wie Erde Regen trinkt.
Und in dem Tränenmeer, so schwer,
ward jede Angst in sich versinkt.

Die Seele legte ihre Hände
auf seine Stirn, so mild, so sacht.
„Erinnre dich, dass jedes Ende
nur heimwärts führt durch tiefe Nacht.“

Dann löste sie sich — kaum zu fassen —
wie Atem, der die Luft vergisst.
Er stand allein — und doch gelassen,
denn er begriff, wer er nun ist.

Er hob den Kopf und sah den Morgen —
so fern, so fremd, so unbemerkt —
und fühlte, wie in alten Sorgen
ein Funke neuen Lebens werkt.

Er lächelte, doch nicht vor Freude,
sondern aus stiller Ehrfurcht nun,
vor all den Toden, die er meide,
und all den Leben, die vergluhn’.

„O Tod,“ sprach er, „du bleicher Lehrer,
du bist kein Feind, du bist mein Freund.
Denn wer dich fürchtet, bleibt stets leerer,
als der, der dich in Liebe meint.“

So ging er weiter, ohne Eile,
das Herz befreit, der Atem klar,
der Rabenmantel — seine Weihe,
ein Mahnmal dessen, was einst war.

Er kannte nun der Liebe Schleier,
ihr süßes Gift, ihr wildes Leid,
den Sturm aus Nähe, Flucht, und Feuer,
der ewig brennt und doch entzweit.

Er wusste nun: die Liebe lügt,
und doch ist sie der reinste Sinn.
Denn wer sie lebt, auch wenn sie trügt,
geht tiefer noch in sich selbst hin.

Und so, umgeben von den Toten,
die flüstern, mahnen, warnen leis,
trug er den Mantel — ungeboten —
und ward zum Gleichnis selbst des Kreis’.

Denn Ende ist Beginn zugleich,
und Asche keimt, wo Feuer fiel,
der Tod ist mild, das Leben reich,
und Sinn nur der, der fallen will.

So endet nicht — nein, nie — die Reise,
sie fließt wie Blut durch jeden Stern,
der Rabenmantel — stille Weise,
trägt Sehnsucht fort, von fern zu fern.

Und wenn die Nacht dich sanft umschlinget,
und du das Dunkel in dir spürst,
dann denk an ihn — der weiter ging,
der Freiheit suchte…
und sie berührt.

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